11.08. —
10.09.2023.
Sextette – Werke von Brahms und Martinu
Streichsextett
J. Brahms – Sextetto op. 36
Die ersten Werke reiner Streicher-Kammermusik, die Johannes Brahms veröffentlichte, waren seine beiden Streichsextette, op. 18 und 36. Obwohl die Verleger anfangs skeptisch waren, ob sich Werke dieser exotischen Besetzung verkaufen würden, wurden sie rasch zum Erfolg. Neben dem Deutschen Requiem und den Ungarischen Tänzen waren es vor allem die beiden Sextette, die Brahms zum Durchbruch verhalfen und den Makel seiner teilweise umstrittenen Frühwerke (1. Klavierkonzert) heilten.
Das G-Dur-Sextett, op. 36, vollendet 1865, ist von beiden Sextetten das kammermusikalischere. Während im B-Dur-Werk, op. 18, orchestrales Tutti und Oberstimmenmelodik vorherrschen, ist der Klang in Opus 36 fein abgestuft und kontrapunktisch aufgelockert. Das Thema des Kopfsatzes wird fast 100 Takte lang im piano von Instrument zu Instrument weitergereicht, bis das erste kraftvolle Tutti aller sechs Stimmen einsetzt. Zusätzliche Spannung entsteht aus der ostinaten Wellenbewegung, die dem Thema hinterlegt wird, aus jener Wechselnote g-fis, die bei Bratschisten berühmt-berüchtigt ist. Über ihr türmen sich die Quintmotive des Themas in einem Hell-Dunkel aus ständigen Dur-Moll-Wechseln. Im gesamten Satz bleiben der wehmütige Ton dieser changierenden Harmonik und das vielfältig schillernde, transparente Klangbild bestimmend – trotz großartiger Steigerungen in Durchführung und Reprise. Zarte Wehmut liegt über dem Satz, wofür es biographische Gründe zu geben scheint. Dem zweiten Thema, einer Art leidenschaftlichem Walzer, soll Brahms dieTonbuchstaben des Namens von Agathe von Siebold unterlegt haben. Die junge Göttingerin wäre beinahe seine Verlobte geworden, wenn er nicht vor der sich anbahnenden Verbindung die Flucht ergriffen hätte. Das Sextett gilt als ein musikalischesAdieu an Agathe, von der er sich trennte, um seine künstlerische Freiheit bewahren zu können. Fast symbolisch halten sich im wundervollen Kopfsatz dieses Sextetts die Merkmale seines selbstbewussten Künstlertums – weiträumige Architektonik, kunstvolle motivische Arbeit und der kontrapunktische Turmbau des Hauptthemas – dieWaage mit den Momenten liebender Zuwendung und inniger Lyrik.
Im zweiten Satz, einem Intermezzo über eine absteigende Melodie mit Trillern, setzte Brahms seine Klangstudien über die zarten Valeurs der Streicher fort. Der Satz ist von beinahe Mendelssohnschem Klangzauber beseelt, offenbart aber in den rhythmischen Dehnungen des Themas und im Helldunkel der Harmonik typische Brahms-Farben. Im Trio weicht das Zart-Verhaltene der hemmungslosen Musizierlaune ungarischer Zigeuner. Es ist der Brahms der Ungarischen TänzeDas wehmütige Poco Adagio gehört zu Brahms‘ schönsten langsamen Sätzen. Ein feiner Duft scheint über der Musik zu schweben; ein Hauch von „langsamer vergehender Zeit“, wie es Heimito von Doderer genannt hätte. Eine klagende Melodie der ersten Geige über leise weinenden Achteln der zweiten und Triolen der ersten Bratsche.
Die Geigen vereinen sich zu schluchzenden Terzen, die Bratsche bleibt widerhakend, ein kurzes sentimentales Aufwallen, die zweite Bratsche tritt mit einem bedeutungsvollen C hinzu, dann folgt das Zurücksinken in mattes Verdämmern.Im Finale setzt sich das formale Vexierspiel fort. Es beginnt in a-Moll statt in G-dur und schiebt zwischen die Themen seiner Sonatenform ein immer wiederkehrendes, flirrendes Sechzehntelmotiv ein. (Karl Böhmer)
B. Martinu – Streichsextette
„Freude und eine demütige, prätentionslose Haltung“ solle Musik auszeichnen – nicht mehr und nicht weniger forderte der tschechische Komponist Bohuslav Martinu. Sein tragisches Leben und Schaffen ist das traurige Schlusskapitel der tschechischen Nationalmusik, die mit Dvorak begann.
Martinu war der produktivste tschechische Komponist des 20. Jahrhunderts, wobei die Kammermusik mit 91 Werken einen prominenten Platz einnimmt. Ganz generell darf man ihn als Vollender der Traditionslinie Smetana-Dvorak-Janacek ansehen, die er im Sinne eines volksnahen Klassizismus aufgriff und mit Tendenzen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts anreicherte. Im einzelnen ist sein Schaffen stilistisch breit gefächert, und auch in der Kammermusik spiegeln sich die unterschiedlichsten Tendenzen wider – vom frühen Experimentieren mit dem Jazz über den französischen Neoklassizismus bis hin zum nostalgischen Spätstil.
Diese Stilvielfalt wird nur aus seiner Biographie heraus verständlich. Der erste Schritt aus dem engeren Kreis des Prager Musiklebens heraus war die Übersiedlung nach Paris 1923. Dort suchte er nach eigenem Bekenntnis „weder Debussy noch Impressionismus noch musikalischen Ausdruck, sondern die wahren Grundlagen der westlichen Kultur“.
Er war nämlich im Gegensatz zu manchem tschechischen Neuerer der Meinung, dass der„eigene nationale Charakter“ der Tschechen sehr wohl zum Westen passe. In Paris suchteer „Ordnung, Klarheit, Maß, Geschmack, genauen, empfindsamen, unmittelbaren Ausdruck, kurzum: die Vorzüge der französischen Kunst, die ich stets bewundert habe, und die ich wünschte, inniger kennenzulernen.“All dies schlägt sich in seinem 1932 an der Seine entstandenen Streichsextett nieder. Die hohe Emotionalität des Werkes dagegen scheint auf die Schatten der Kriegsjahre vorauszuweisen. Der Himmel über Europa begann, sich zu verdüstern. Acht Jahre später sollten Martinus ruhige Pariser Jahre ein jähes Ende finden, als die Deutschen kamen. Dem tschechisch-jüdischen Musiker blieb keine Alternative als die Flucht. Auf abenteuerlichen Wegen erreichte er Lissabon, wo seine Emigration lange am seidenen Faden hing.
Als er im März 1941 endlich in New York ankam, waren alle Posten für Exilmusiker bereits besetzt. Martinu, der kein Englisch sprach und viele Partituren in Paris hatte zurücklassen müssen, wäre in dieser Situation hilflos gewesen, hätte ihm nicht der Dirigent Koussevitzky den Auftrag zu einer Sinfonie erteilt. Sie wurde ein großer Erfolg, weitere Kompositionsaufträge schlossen sich an. Dennoch blieb Martinus Leben auch in den USA von ständiger Sehnsucht nach der Heimat überschattet.
Schon im Streichsextett aus der glücklichen Pariser Zeit ist dieser wehmütige Zug zu spüren. Dass dem schnellen ersten Satz eine langsame Einleitung vorausgeht, kündet vom besonderen emotionalen Gewicht des Werkes. Das folgende Allegro streift in seiner robusten Rhythmik den Ton tschechischer Folklore und ist doch zugleich Zeugnis einer am französischen Geist geschulten Klarheit. Im Mittelsatz sind langsamer Satz und Scherzo ineinander verwoben: letzteres unterbricht als ausgelassener Tanz den gesanglichen Duktus des Andantino. Ein vitales Allegretto beschließt das Werk in fast ausgelassener Manier. Die Schatten der Einleitung und einer düsteren Zeit scheinen gebannt.Quelle: www.kammermusikfuehrer.de
Programm
Sextett Gesamtdauer: ca. 60 Minuten
Johannes Brahms (1833-1897)
–Allegro non troppo
–Scherzo: Allegro non troppo
–Poco adagio–Poco allegro
Bohuslav Martinu (1890-1959)
–Lento – allegro poco moderato
–Andantino – Allegretto scherzando
–Allegretto poco moderato
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